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#Wirkungsstory: So geht Klimaschutz auf dem Acker

17. Juli 2024

Die Klimakrise und die Degeneration von Böden, Wasser und Biodiversität: Zwei Krisen, die das Hamburger Social Enterprise VIVO Carbon gleichzeitig adressiert. Mit Agroforst. Agroforst? Das ist schnell erklärt: Gemeinsam mit Landwirt:innen pflanzt das Team von VIVO Carbon auf deren Ackerflächen Bäume. Die binden nicht nur CO₂, sondern erhöhen auch die Biodiversität. Durch die Pflanzung der Bäume steigt perspektivisch sogar die Produktivität der landwirtschaftlichen Flächen. Eine Win-Win-Situation für die Landwirt:innen und die Umwelt. Sind die Bäume ausreichend groß, kommen sie etwa als nachhaltiger Rohstoff für den Bau zum Einsatz. Das in ihnen gespeicherte CO₂ bleibt damit, wo es ist. Finanziert wird die Arbeit von VIVO Carbon über Spenden und Klimaschutz-Credits.

 

Wir haben mit Jan Frensch, Mitgründer von VIVO Carbon und verantwortlich für das Business Development, über das Unternehmen und seine Mission gesprochen:

Jan Frensch, Mitgründer von VIVO Carbon, bei einem Pflanzprojekt auf dem Eichhof in Schleswig-Holstein, (c) VIVO Carbon

Jan, wie kam euch ursprünglich die Idee, das Unternehmen zu gründen?

 

Wir alle kennen die Diskussion rund um die Klimakrise, darüber, was man alles machen müsste. Wir wollten nicht länger diskutieren, sondern ins Handeln kommen. Am Anfang stand also dieser klare Pragmatismus und die Notwendigkeit, jetzt etwas zu tun. Das war 2020. Michael und Tobias hatten damals die Idee, im Bereich Agroforst aktiv zu werden. Denn das Thema wurde in Deutschland bis dato total unterschätzt und sehr stark von der Politik vernachlässigt. Dabei hat es in anderen Ländern, wie in Frankreich, bereits einen ganz anderen Stellenwert. Und es ist ein äußerst wirksames Instrument: Es lässt sich sehr viel Kohlenstoff damit binden und gleichzeitig erreicht man auch noch andere wichtige Ziele.

 

Das klingt nach einer sehr vielversprechenden Maßnahme. Was denkst du, warum das Thema Agroforst nicht schon längst mehr Beachtung findet? 

 

Das ist relativ leicht zu beantworten. Es hat vor allem damit zu tun, dass das Thema politisch nicht gut unterstützt wird. Die Förderungen sind viel zu bürokratisch, zu niedrig und auch nicht praxisnah. Hinzu kommt: Agroforstsysteme erhöhen zwar die Produktivität der genutzten Fläche und sind eine kosteneffiziente Klimaschutzmaßnahme, aber die Betriebe kennen sich damit einfach noch nicht aus. Für sie bedeutet das erstmal eine Investition, sowohl finanziell als auch zeitlich. Und diese Kombination führt dazu, dass wenig passiert. 

Ihr seid eine gGmbH. Warum habt ihr euch für diese Rechtsform entschieden?

 

Für uns war immer klar, dass es keinen Shareholder Value geben wird. Wir finden es grundsätzlich nicht falsch, wenn man ein Geschäftsmodell aufbaut, mit dem man der Umwelt hilft und gleichzeitig Geld verdient. Aber für uns war klar, dass der Mechanismus so besser funktioniert: Je mehr Geld wir reinvestieren, desto mehr neue Bäume können wir pflanzen. Das war also der erste Gedanke. Und dann haben wir uns gefragt: Wie können wir das nötige Vertrauen schaffen, dass wir das Geld auch zweckmäßig verwenden? Da fehlt es in Deutschland leider noch an einer geeigneten Rechtsform für ein Vorhaben wie unseres, die aber gerade von vielen gefordert wird. In der aktuellen Situation war eine gemeinnützige GmbH für uns die beste Wahl. Mit dieser Rechtsform stellen wir am ehesten sicher, dass wir vertrauensvoll und transparent mit den uns zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln umgehen können.

 

Die Social Entrepreneurship City Hamburg ist ja ein Sprachrohr für Unternehmen wie euch. Was braucht ihr gerade am dringendsten, um eure Arbeit noch erfolgreicher zu machen?

 

Wir haben all das, was wir operativ brauchen. Das Angebot steht und die ersten drei Projekte haben wir bereits gepflanzt. Nächstes Jahr wollen wir deutlich mehr Projekte umsetzen. Dafür brauchen wir aber Unternehmen und Personen, die jetzt aktiv werden wollen und Klimaschutzprojekte mit uns umsetzen möchten. Wir haben ein äußerst wirksames Klimaschutzangebot, um CO₂ zu binden, das jahrzehntelang emittiert wurde. Aber ohne die Unterstützung von Unternehmen, Organisationen und Personen geht es nicht.

Wirkung aus der Vogelperspektive: Seit seiner Gründung hat VIVO Carbon bereits mehr als 10.000 Bäume gepflanzt, (c) VIVO Carbon

Stellen wir uns vor, es ist 2034 – welche Wunschvorstellung habt ihr, wie es um das Thema Agroforst in zehn Jahren steht?

 

Da haben wir tatsächlich ein konkretes Bild. Für uns ist das Wichtigste, dass die landwirtschaftlichen Betriebe in Zukunft auch ohne uns Agroforstsysteme pflanzen – aus Eigeninteresse – und dass die Politik das vernünftig unterstützt. Wir sehen uns da als treibenden Akteur, der das Thema politisch und gesellschaftlich nach vorne bringt. Und wenn es soweit ist, konzentrieren wir uns auf andere produktive Ökosysteme oder vielleicht auf andere Länder. Wir heißen ja VIVO Carbon und nicht VIVO Agroforst.

 

Habt ihr konkrete Zahlen im Kopf, was eure Zukunftsvision betrifft?

 

Ja! Ungefähr 50 % der Fläche in Deutschland entfällt auf die Landwirtschaft, das sind rund 16 Millionen Hektar. Würde man überall dort Agroforst implementieren, ließen sich jedes Jahr 40 Millionen Tonnen CO₂ binden – in etwa 2/3 der Emissionen, die die Landwirtschaft aktuell ausstößt. Das ist schon eine Hausnummer!

 

Absolut! Man merkt: Ihr seid da wirklich einem wichtigen Thema auf der Spur und mit viel Leidenschaft bei der Sache. 

 

Ja, das ist beim ganzen Team so. Wir teilen einfach die Überzeugung, dass sich etwas verändern muss. Und wir wollen mit VIVO Carbon auch ein Alternativmodell zur klassischen Wirtschaftsweise schaffen – Gesellschaftsgewinn vor Individualgewinn. Klar, wir werden nicht von heute auf morgen das System verändern, darum geht es nicht. Aber wir können innerhalb dieses Systems richtig handeln und das Geld da hinbringen, wo es dringend benötigt wird. 

 

 


 

Über VIVO Carbon:

Die gemeinnützige VIVO Carbon gGmbH realisiert Agroforstsysteme in Deutschland, eine Kombination aus Landwirtschaft und Bäumen. Agroforstsysteme binden CO2, erhöhen die Biodiversität, verbessern das Mikroklima und helfen der Landwirtschaft bei der Anpassung an den Klimawandel. Zudem schaffen sie Synergien zwischen Baumstreifen und Ackerkulturen, sodass sich die Gesamtproduktivität der genutzten Fläche erhöht. Die Projekte werden in Kooperation mit landwirtschaftlichen Betrieben umgesetzt und dauerhaft gemeinsam bewirtschaftet. Die Agroforstsysteme binden CO₂ in lebendigen, produktiven Ökosystemen und nach der Holzernte wird der Kohlenstoff dauerhaft z.B. in Baustoffen gespeichert. Die Wurzeln bleiben im Boden und die Bäume wachsen ohne Neupflanzung nach, sodass sie erneut CO₂ binden können. Die Erlöse aus dem Holzverkauf werden in den Klimaschutz reinvestiert. Unternehmen, Organisationen, Stiftungen und Einzelpersonen können sich durch finanzielle Unterstützung für regionalen und transparenten Klima- und Naturschutz einsetzen. Die Finanzierung der Agroforstsysteme erfolgt zunächst durch Spenden und mittelfristig durch den Verkauf von CO₂-Zertifikaten, die auf der CO₂-Bindung in Agroforstsystemen basieren.

 

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