Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung ihre eigene Geschichte erzählen zu lassen – das ist die Idee des kohero Magazins. Das Magazin versteht sich als inklusive Plattform für Migrant:innen und möchte die Perspektiven, Geschichten und Meinungen von Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, sichtbar machen. kohero erzählt Geschichten, liefert Fakten, ermöglicht Diskussionen und sorgt so für mehr Verständnis und Zusammenhalt.
Für unsere Wirkungsstory haben wir mit Hussam Al Zaher gesprochen, dem Gründer und Chefredakteur von kohero. Er hat in Damaskus Politikwissenschaften studiert und parallel als schreibender Journalist gearbeitet. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Im Interview erzählt Hussam, was das Magazin so besonders macht, wie sich die Debatte rund um Flucht- und Migrationsthemen in den letzten zehn Jahren verändert hat und welche Herausforderungen ihm bei seiner Arbeit begegnen.
Hussam, wie ist die Idee für kohero entstanden?
Ich bin 2015 selbst als Geflüchteter nach Deutschland gekommen. In meiner Heimat habe ich auch schon als Journalist gearbeitet. Als ich dann hier war, habe ich mich gefragt: Warum wird eigentlich immer über Geflüchtete geschrieben und nicht von ihnen selbst? So kam die Idee, eine Plattform zu schaffen, auf der Menschen mit Fluchtgeschichte ihre eigenen Geschichten und Perspektiven teilen können – für die ganze Gesellschaft. Das war auch der Grund, warum ich mich entschieden habe, das Magazin auf Deutsch zu machen, damit es eine Brücke wird: zwischen Menschen mit und ohne Flucht- oder Migrationserfahrung. 2017 sind wir dann unter dem Namen Flüchtling Magazin gestartet. 2020 haben wir den Namen geändert – zu kohero. Das kommt aus der Sprache Esperanto und bedeutet „Zusammenhalt“.
Vor zehn Jahren hat Angela Merkel gesagt „Wir schaffen das!“. Wie hat sich die Debatte rund um Flucht- und Migrationsthemen aus deiner Sicht in den letzten zehn Jahren verändert?
Ich glaube, es gab sehr viel Veränderung – in gesellschaftlicher Hinsicht, aber auch in der Art des Diskutierens. 2015/16/17 wurde viel über diese Themen gesprochen. Da gab es die Willkommenskultur; Merkel hat gesagt „Wir schaffen das.“ Es ging darum, so viel wie möglich zu helfen, weil die Situation so eine große Herausforderung war. In dieser Zeit wurden auch sehr viele Medien- und Kulturhäuser für Menschen mit Migrations- und Fluchtgeschichte geöffnet. Aber jetzt wird es immer weniger und weniger. Besonders nach der Corona-Zeit – wegen der schlechten Wirtschaftslage und der Unsicherheit. Nun gibt es viele populistische und rechtsextreme Kampagnen, die die Schuld dafür auf die Migrant:innen schieben. Deswegen wir hören jetzt oft, man solle die Grenzen schließen oder, dass wir nicht alle Leute aufnehmen können. Viele haben heute das Gefühl, dass Abschiebung die Lösung aller Probleme ist, die wir in Deutschland haben.
Ihr bietet ja auch Sprachtandems an und Workshops, in denen Menschen ihre Schreibfähigkeiten verbessern können. Warum ist es euch wichtig, dass jede Person ihre eigene Geschichte erzählen kann?
Das hat auch mit meiner eigenen Erfahrung zu tun. Als ich das Magazin gegründet habe, konnte ich noch nicht gut schreiben und brauchte immer jemanden, der meine Texte lektorieren und korrigieren kann. Heute richten sich die Workshops und Sprachtandems vor allem an Menschen, die erst seit kurzer Zeit hier in Deutschland sind. Auch sie haben was zu erzählen, zu schreiben. Aber oft können sie das noch nicht in einer neuen Sprache – oder sie können einfach nicht gut schreiben. Schreiben ist ja auch ein Talent, das nicht alle Leute haben. Seit zwei bis drei Jahren möchten wir zudem nicht nur Menschen mit Fluchtgeschichte die Möglichkeit geben, ihre Geschichte zu erzählen, sondern auch Migrant:innen allgemein. Und Migrant:innen haben zwar deutsche Sprachkenntnisse, aber sie können vielleicht keine journalistischen Artikel schreiben. Deswegen bringen wir sie mit Menschen mit Journalismus-Erfahrung zusammen. So ermutigen wir sie überhaupt in Richtung Journalismus zu gehen und bringen ihnen bei, ein journalistisches Format zu produzieren.
Was würdest du sagen, sind aktuell die größten Herausforderungen für euer Magazin?
Das Erste ist auf jeden Fall die Finanzierung. Da haben wir dieses Jahr eine große Herausforderung. Wir möchten eine nachhaltige Finanzierung erreichen, indem wir unterschiedliche Einnahmequellen erschließen, aber das haben wir bisher leider noch nicht geschafft. Die zweite Herausforderung ist, dass wir ein Nischen-Thema bedienen. Wir versuchen, viele Menschen zu erreichen, Menschen mit Migrationsgeschichte und ohne. Aber wegen der wenigen Ressourcen, die wir haben, ist das sehr schwierig. Reichweite ist also eine große Herausforderung – dass mehr Leute unsere Inhalte lesen. Und eine dritte Sache: auch nach acht Jahren fehlt uns immer noch Erfahrung, um unser Format weiter zu professionalisieren.
Und gibt es inhaltlich noch Visionen und Pläne für die Zukunft? Woran arbeitet ihr gerade?
Auf jeden Fall haben wir immer sehr viele Pläne! Wir haben zum Beispiel die Idee, migrantische Themen noch stärker auf lokaler Ebene zu entdecken. Dazu möchten wir einen neuen Newsletter einrichten, in dem wir Hamburg durch den migrantischen Blick beleuchten. Wenn Hamburg als Pilotprojekt funktioniert, wollen wir das Format auch in andere Städte bringen.
Zum Abschluss, was würdest du unserer Community gerne noch mitgeben?
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir einander unterstützen. Wir können nur zusammen gewinnen!
Vielen Dank für das Gespräch, Hussam!
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Foto-Credits: kohero